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Noch eine Verschiebemasse: die Saar – Schimmelkopf oder ein namenloser Punkt auf den Dollbergen: Wer ist der Höhere?
Offiziell der Höchste, real der Zweithöchste
Auszüge:
“Auf meiner Tour durch die Mitte Europas habe ich eine Reihe von Ländern und Territorien abzuhandeln, die es zu fast gar nichts Vorzeigbarem bringen, was Berg genannt werden könnte. Weder werden respektable Besteigungen aus der Historie zu erzählen sein, weil es nämlich keine gibt, auch wird die eigene Besteigung jeder Dramatik entbehren: Weder gibt es spektakuläre Sonnenaufgänge, noch abgefrorene Hände; keine Gletscherspalten, in die ich stürzen könnte. Auch ist keine besondere Ausrüstung vonnöten, um diese Hügelchen zu besteigen, keine Steigeisen, Klammern, Seile oder Stifte. Die Gipfel bieten manchmal keine Aussicht: Sie sind von Wald verstellt, wenn es gut geht. Wenn nicht einmal das, dann liegen die Gipfel auf einem Acker, am Dorfrand, oder, ganz schlimm: zwischen Häusern. Und noch schlimmer: Keiner kennt diese Berge, sie sind einfach nicht der Rede wert. Noch nicht einmal die Leute in den Ländern, denen diese Berge vorstehen, kennen die Namen. Manche haben nicht mal einen Namen.
Und doch haben sie ihren ganz besonderen Reiz: den Reiz des Unbekannten. Sie müssen gesucht werden. Sie sind unsichtbar. Haben Sie schon einmal in einer Runde Bergsteiger, die ihr Erlebnisse auspackten, den Versuch gewagt, von Ihrer Besteigung des Schimmelkopfs zu sprechen? Schimmel ... was? Man redet in diesen Kreisen vom Eiger, vom Zuckerhütl, vom Tödi und der Blümlisalp. Von Westwand und Nordgrat. Und wie war die Nacht auf der Hütte in 3800 Meter? Und dann der Einstieg auf den Gletscher? War er aper? War der Schnee verharscht? Wann wurde angeseilt?
Das sind die Themen, die richtige Bergsteiger bewegen. Und jetzt komme ich in diese Runde, öffne meinen Mund und erzähle vom Schimmelkopf. Basses Erstaunen ist die erste Reaktion. 'Was? Ihr habt noch nicht vom Schimmelkopf oder Kneiff gehört? Das gibt es doch gar nicht! Der höchste Berg vom Saarland! Der Höchste von Luxemburg! Noch nie was von der Botrange und vom Vaalserberg gehört? Belgien? Holland?'
Die ersten kichern schon. Ich werde nicht mehr ganz ernst genommen. Auf dieser Stufe breche ich besser die Unterhaltung ab. Wenn ich jetzt weiterrede, wird man mir nicht mehr zuhören, wird sich nach mir umdrehen, mich vorwurfsvoll anschauen: Was will der denn? Kann der nicht den Mund halten mit seinem komischen Zeug?
Unter Bergsteigern reden, heißt stromlinienförmig reden. Erwartetes bieten. Schon dreimal Erzähltes immer wieder neu erzählen. Aber bloß nicht mit dem Schimmelkopf kommen. Denn wenn die anderen nicht mehr mitreden können, macht man sich selbst unbeliebt. Das ist es, was die Hügelchen im Flachland so anziehend macht. Man kann sie zum Verwirren von Erzählrunden benutzen, zur Selbst-Disqualifizierung. Nur Spinner, rettungslos Verlorene, geben sich mit solch lächerlichem Kram ab. Solche, die einfach nur dortgewesen sein wollen.“
Auf den Dollbergen grenzte 1787 noch BZ = Herzogtum Baden, Herrschaft Züsch, an DS = Dürckheim/Sötern. Wer sich anstrengt, erkennt das "BZ" und darunter die Nummer 545; der Blick geht also aus Baden-Züsch in die Saar.
"So bin ich am Freitag, einem 13. März, zu meiner Tour zu den Gipfeln des ganz besonderen Kalibers gestartet. Bis heute weiß ich noch nicht, ob Freitag der Dreizehnte als Startdatum nun wirklich hätte vermieden werden sollen. Es war nicht immer das totale Glück. Jeder Tag war Kampf, Kampf gegen das eigene Unwissen: Wo ist die und jene Straße, wie lege ich meine Route optimal, wo und wann kaufe ich ein, wo und wann wasche ich mich, wo, wann und wie entsorge ich Ballaststoffe des eigenen Körpers? Aber manchmal sind in dieses Auf und Ab ein paar seltsame Erlebnisse eingefügt, manchmal scheint auch nur einfach die Sonne, manchmal kann ich aus einer simplen Frage nach der oder jener Adresse eine interessante Unterhaltung mit wildfremden Leuten, Zufallsbekanntschaften an der Straße anzetteln; und dann stellt sich wieder das Gefühl der Unabhängigkeit ein, der totalen Ungebundenheit, daß ich noch lebe; das allein ist die Sache wert."
Moder im Wald
Selbst der Vermessungsstein liegt nicht exakt auf dem höchsten Punkt.
"Es droht kalt zu werden, der dicke Schlafsack wird heute nacht zu seinen Ehren kommen. Noch ist es früh am Abend – wir haben ja erst März – und ich will nicht schon um 8 Uhr schlafen gehen. Schalte also das Radio an und beobachte meine Umgebung ein bißchen. Der Platz füllt sich. Ein Lastzug nach dem anderen biegt ein, ein Fahrer nach dem anderen sucht hier seine Bleibe.
Da geht die Tür des Campinganhängers einen Spalt weit auf und eine Frauengestalt schaut heraus. Lächelt mich an. Lächelt mich auch noch an, als ich zurücklächle. Dann geht der Spalt wieder zu. Der Campinganhänger hat rot verkleidete Fenster und eine Treppenstufe zum Einsteigen vor der Tür. Rote Herzen sind aufgeklebt. Ich begreife.
Noch vom Vorbesitzer stammt wahrscheinlich der Aufkleber 'Caravaner lieben die Natur'. Oder? Natur ist alles, auch das, was in dem Caravan passieren soll. Ein Lastwagenfahrer schlendert über den Platz, klopft an der Tür. Sie öffnet sich. Man verhandelt. Er geht wieder. Die Preise sind hoch in Deutschland. Zu hoch.
Rauch kräuselt sich aus dem Kaminchen am Dach des Campinganhängers in die klare Nacht. Man heizt also innen. Von der Bundesstraße nahebei rauschen die Lastwagen noch herüber. Alles ist ruhig. Nur das Rauschen. Auf und ab, der Verkehr. Man geht nicht so früh schlafen an der Bundesstraße 51.
Noch einmal öffnet sich die Tür des Campinganhängers „Zu den Roten Herzen“. Diesmal öffnet sich nur die obere Hälfte, dafür aber weit. Die Liebhaberin beugt sich heraus, läßt frische Luft herein für die Nacht. Ich weiß nicht, ob ich in ihrer Nähe gelitten bin, also steige ich aus und suche das klärende Gespräch. Grüße freundlich. Sie grüßt freundlich. Nein, ich kann da ruhig stehen bleiben, störe nicht. Zigarettenrauch dringt durch die geöffnete Türklappe in die Nacht hinaus. 'Sie' hat nur ein Netzhemdchen an, muß aufpassen, daß sie sich nicht erkältet. Hustet."
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