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Kalmückien – Gora Schared, 

75 km südöstlich von Elista, 18,75 km südsüdwestlich von Iki-Burul, 3,8 km östlich der Örtlichkeit Manytsch auf der Yergeni-Hochebene;

oder der namenlose Punkt

35 km westnordwestlich von Elista, 23 km südöstlich von Remontnoje, 15 km östlich von Perwomajskoje im Sal'sko-Manytsch-Bergzug auf der Grenze zur Rostovskaya Oblast' ... 

und der tiefste Punkt des Kontinents


 Autonome Republik im Verband der Russischen Föderation, bewohnt von mongolischen Buddhisten, kalmykisch sprechend




Nach Moskau 945 km. Ich biege rechts ab nach Stalingrad – heute Wolgograd – 384 km

 
"Vor Rostow-na-Donu finde ich ein Nachtplätzchen seitlich im Feld. Eine miserable Stelle: Ich stehe auf einem Weg, auf dem ich leider auch nicht ganz allein bin. Immer wieder drücken sich Autos mit aufgeblendeten Scheinwerfern an mir vorbei, während die Nacht hereinbricht. Was aber noch schlimmer ist: In der Nähe steht ein Schild mit der ominösen Aufschrift: 'Stop! Durchfahrt verboten, Ochrannaja zona'. Ochrannaja Zona, was soll das heißen? Im letzten Tageslicht bemühe ich mein Wörterbuch: Schutzzone. Ist das ein Naturschutzgebiet? Es kann auch 'bewachtes Gebiet' heißen. Eine Raketen-Abschußrampe?

Es ist zu spät, um noch einmal auf die Straße hinaus und weiterzufahren. Ich bin zu müde heute. Also bleibe ich auf dem Weg stehen, ertrage die Störungen durch die sich seitlich an mir vorbeizwängenden Autos, das aufgeblendete Licht, die Geräusche der Nacht, und verbringe eine schlechte Nacht auf meiner rückwärtigen Matratze. Rußland läßt sich nicht gut an."



Auszüge:

 

An der antiken Grenze Europas – die Brücke über den Don

 

"Ich wandere zu Fuß auf die Brücke, fotografierbereit. Der Don hat sich hier ein steilwandiges Tal gegraben, gegenüber das Städtchen Kalatsch-na-Donu. Es würde ein schönes Bild geben. Doch da sitzt in seinem Häuschen ein Brückenwärter, Relikt aus dem Mittelalter. Ich weiß schon, ich darf keine Brücken fotografieren. Aber das will ich ja gar nicht, erkläre ich ihm, als er mich abwehren will. Ich will ja nur von der Brücke hin auf die Steilwand fotografieren, weil die Landschaft hier so interessant ist. Nichts zu machen, es bleibt verboten."


 

Noch 228 km durch die Steppe bis in die Hauptstadt Elista. Das war der östlichste Punkt, zu dem die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg vordrang.

 

"Schon wieder werde ich bei der Einfahrt nach Elista belästigt. Ein Kontrollposten ist hier fest etabliert. Diesmal geht es darum, mich als Person mit all meiner Identität zu 'erfassen'. Ich muß aussteigen, um quer über die Straße zu einem Beamten zu laufen, der an einem Tischchen im Freien unter einem Baldachin gemütlich sitzt, ein großes Querformat-Buch vor sich. Dort hinein trägt er Name, Vorname, Geburtsdatum … Dann fängt er an zu fragen: 'Wohin?' Ich sei wohl ein Spion, vermutet er. Ich bestärke ihn in dem Glauben und lache ihn aus. Ob ich aus West- oder Ostdeutschland käme? FRG oder GDR? Noch 18 Jahre nach der Wiedervereinigung ist auch in diesen Sturköpfen am Straßenrand von Elista die Trennung zwischen West und Ost noch voll verankert."


 

Endlich in derRespublika Kalmykija – das Staatssymbol am Straßenrand

 

"Ich schaue nach einem Hotel aus, denn ich brauche in dieser wasserlosen Umgebung dringend eine Dusche. Mir fällt bei den ersten Häusern von Elista das Schild 'Gostiniza' auf, abgeleitet von Gasthaus. Gut, Gostiniza klingt immer preiswerter als 'Hotel'. Also fahre ich hin. Ich lande vor einem alten, heruntergekommenen, vergitterten Haus, wie ein Gefängnis. Drinnen ist nur ein Mädchen aufzutreiben, das gerade Bettwäsche durch eine Mangel schiebt; sie holt die 'Direktorin', eine resolute Frau, die an mir und meiner Unfähigkeit mich auszudrücken schier verzweifelt. Natürlich spricht man in solch einer Absteige nur russisch. Nein, nein, kommt heraus, man macht für mich keine Registrierung, das könnten sie nicht. Ich verstehe: Ausländer hat das Haus noch nie gesehen."


 

Buddhismus trifft Orthodoxie: In Kalmykien ist der Dalai Lama ständig präsent.


Buddhismus in Europa – Kalmykien: https://www.youtube.com/watch?v=q9qbLLbWQTk


"Ich frage die Dame an der Rezeption, ob sie für mich anläßlich meiner Übernachtung hier eine Registrierung durchführen könne. Sie telefoniert ein bißchen herum und bescheidet, Registrierung bräuchte ich nicht. Sie behält allerdings meinen Paß ein; vermutlich läuft das auf dasselbe hinaus; mir geht’s nur um den Hotelstempel auf der Migrationskarte. Ich quartiere mich für zwei Nächte in einem kargen Zimmer ein, aber mit Dusche und funktionierender Klimaanlage. In mehreren Etappen schleppe ich schwitzend das gesamte Gepäck aus dem Auto nach und nach drei Stockwerke hoch in mein Zimmer, denn das Auto ist auf der Straße vor dem Hotel geparkt und hat schon Interessenten angelockt: 'Was kost?' Das Waschbecken hat – wie üblich in Rußland – keinen Stöpsel, so gerät das große Wäschewaschen etwas zur Farce; muß mit Taschentüchern abdichten. Spanne eine Wäscheleine quer durchs Zimmer. Auch einen Fernseher gibt es, mit einem lächerlichen, sowieso unverständlichen Programm. Wieder drängt sich in mir der Gedanke auf, ob denn Hotelübernachtungen für mich das Richtige sind. Wo ist der Gegenwert? Der Gegenwert besteht aus fließendem Wasser, nichts sonst. Den Rest kann ich mir selbst bieten.

Drunten an der Rezeption rüttelten ein paar Kühlschränke, vorhin, als plötzlich der Strom wieder da war. Aber ich bin zu faul, dort meine Drei-Liter-Plastikflasche mit dem guten, warmen 'Zhigulyovskoe'-Leichtbier zu deponieren, mit dem ganz Rußland in diesen heißen Sommertagen überschwemmt zu sein scheint. Stattdessen nehme ich ein paar kräftige Züge. Ein herrliches Einschlafmittel – ich versinke in Tiefschlaf, und das am frühen Nachmittag.

Als ich wieder aufwache, ist es zu spät, um noch etwas Sinnvolles zu unternehmen. Ich schreibe ein paar Briefe und Postkarten an die Daheimgebliebenen und frage mich durch zur Post. Dort stehe ich am Schalter und schaue durch das Glas durch auf Lenins Kopf. Darunter der Spruch 'Sozializm bez potschty, telegrafa, maschin pustejschaja fraza' – Sozialismus ohne Post, Telegraph, Maschinen ist eine leere Phrase – und wieder darunter das Konterfei des Dalai Lama. Lenin und die buddhistische Lehre bieten offenbar keinen Widerspruch in sich. An der Glaswand des Schalters heftet ein noch etwas profanerer Spruch: 'Abchazniju i Juzhnyju Osetiju perewody ne prinimajem' – Wir nehmen keine Überweisungen für Abchasien und Südossetien an; klar, dort wird gerade geschossen.

Danach will ich einmal wieder ordentlich essen gehen, etwas Substantielles. Wo kann ich das am besten? Das chinesische Restaurant, das auf meinem kleinen Stadtplänchen eingezeichnet ist, hat seine Türen verrammelt. Das Café Sputnik, das es noch um ein paar Ecken herum geben soll, existiert nicht mehr. Ich finde kein anderes Restaurant als das auf der rückwärtigen Seite meines Hotels, noch im 'Gostinitschnyj kompleks Elista', dem Gasthauskomplex Elista – alles Bedeutende in Rußland kommt immer in Komplexen daher – und da wird gerade kräftig gefeiert. Ein Kuban-Kosake, schon schwer angeschlagen und nur noch trübe aus seinen Augen blickend, umarmt mich und lädt mich überschwenglich zum Mitsaufen ein. Er ist heute 55 Jahr alt geworden, und wenn er so weitersäuft, wird er es nicht mehr lange machen.

Die Frauen am Tisch sind etwas zurückhaltender, verständlich, die haben ja heute nichts zu feiern, sondern nur mitzumachen. Noch reden sie verständlich, noch sind sie nicht in den Zustand allgemeiner Wirrnis verfallen. Sie bieten mir zum Wodka auch etwas zu essen an. Klar, als Ausländer bin ich Mittelpunkt. Hier gibt es sonst keine Abwechslung. Schon drehen sich die ersten zum Tanz im Kreise – da ziehe ich es vor, mich auf mein Zimmer zurückzuziehen. Wenn ich anfangen würde mitzutanzen, würde das Feiern kein Ende nehmen und ich wäre morgen am Boden zerstört."


 

Gebetsfahnen auf einem Grabhügel an der Straße nach Astrachan

 

Was heißt denn das? Geht mich das etwas an? Wnimanije Objekt KTK-R – Ochranjaetsja wooruzhennoj milizejskoj ochranoj – PROJEZD STROGO WOSPRESCHTSCHEN – "Achtung! Objekt KTK-R – wird bewacht durch bewaffnete Milizwachen – Durchfahrt streng verboten". Ach was, das kümmert mich nicht. Weiter!

Aber interessieren tut's mich doch: Was ist wohl ein Objekt KTK-R? KTK steht für "Kaspijskowo Truboprowodnowo Konsorziuma-Rossii" =  Objekt des Kaspischen Röhrenleitungskonsortiums Rußlands.

 

Die Gora Schared vor mir

 

"Kurz vor Manytsch sehe ich links schon den Funkmast auf der Gora Schared. Kurz danach, bei den ersten Häusern von Manytsch, steht links der Straße ein verrosteter Wasserturm. Das Dorf lasse ich rechts liegen und biege links auf einen Feldweg in Richtung der Gora Schared ein. Dann sind es noch einmal genau drei Kilometer auf angenehmer Erdpiste bis vor die Antenne auf dem Gipfel. Darf ich mich näher herantrauen? Darf ich fotografieren?

Ich peile kurz, nehme Witterung auf – niemand weit und breit zu sehen. Da drücke ich ein paar Mal auf den Auslöser, einmal direkt auf die Antenne, das andere Mal auf einen Vermessungsstein, der mir hier so schön anzeigt, daß ich auf einem Gipfel stehe – sonst hätte ich es in der flachen Landschaft kaum bemerkt – und mache, daß ich schnellstens davonkomme. So schnell habe ich mich noch kaum je von einem Gipfel verabschiedet."


 

Schnell ein verbotenes Gipfelfoto und nichts wie weg!

 

Und noch den Vermessungspunkt auf dem Gipfel "als Beweis" mitgenommen ... GUGK  steht für Glawnoje Uprawlenije Geodezii i Kartografii – Hauptverwaltung Geodäsie und Kartographie; 1844 gilt als Gründungsdatum dieser Institution.

 

Von Iki-Burul die Piste nach Manytsch. Am Dorf links abbiegen und die letzten Schritte am besten zu Fuß zur Antenne auf der Gora Schared. Es besteht Verhaftungsgefahr, vor allem wenn ich noch mit einem GPS herumhantiere. Hier ein Ausschnitt aus Blatt l-38-21 "Arzgir" des sowjetischen Generalstabs von 1988/94, 1 : 200 000

 

"Schnell zurück die 22 Kilometer zur Hauptstraße. Dort, an der Einfahrt, fühle ich mich sicher, halte an und hole etwas zu essen hervor. Gerade kaue ich auf vollen Backen mein Brot, da stoppt ein Wagen der Milizia neben mir. Es entsteigen zwei uniformierte Schlächtertypen, sportlich durchtrainiert und gut gelaunt. „Inspektion“ nennen sie das, was sie mit mir und meinem Auto vorhaben. Also wieder einmal das Übliche: Paß, Kraftfahrzeugschein, Registrierungsdokument. Hinten aufmachen! 'Alpinism, Konservy' – ha, die Wörter gibt es tatsächlich! Ich führe meinen vorletzten Bohneneintopf vor, den ich aus der Heimat mitgebracht habe. Oh, da ist noch die Matratze. Moj otel' – mein Hotel – erkläre ich. Otschin' charascho! Sehr gut! Die Kerle sind beeindruckt und zugleich verunsichert. Irgendetwas Sinistres muß ich doch vorhaben!? Was ich hier mache? Aha, jetzt kommen wir zum Kern der Sache. Na ja, nichts Besonderes, halt Tourismus. Und wo übernachte ich? Heute noch in der Gostiniza in Elista – ich denke, es ist opportun, wenn ich vorgebe, daß ich auch ab und zu und besonders hier im Hotel nächtige – morgen nach Astrachan. Astrachan ist gut, das fällt nicht in ihren Zuständigkeitsbereich. Da lassen sie es gut sein, wünschen mir alles Gute und drehen auf die Hauptstraße ab, zurück von wo sie gekommen waren. Es sieht so aus, als ob sie nur wegen mir die Fahrt gemacht haben.

Beruhigt wende ich mich wieder meinem Brot und meinen Radieschen zu. Keine fünf Minuten später hält ein schwarzes Auto vor mir. Zwei Jünglinge in Zivil schlendern lässig auf mich zu, der eine ein Kalmücke, etwa 30 Jahre alt, der andere ein Russe, etwa 20. Sie weisen sich als Angehörige der Miliz aus; das ist nur ein Vorwand – in Wirklichkeit sind sie vom Inlandsgeheimdienst FSB, das sehe ich am Fehlen einer Uniform. Im Grunde zum Lachen. Dieselbe Prozedur noch einmal: Dokumente, Auto öffnen, Inhalt vorzeigen. Aha, ein Deutscher. Sie wühlen in meinen Kisten, finden aber nichs Verdächtiges. Mein GPS-Gerät wäre verdächtig gewesen, wenn sie es gefunden hätten. Der Jüngere kann etwas Englisch; der Kalmücke sagt ein deutsches Kinderlied auf: 'Eins, zwei, drei und vier, zählen lernst Du bei mir hier.' Jetzt muß ich wirklich lachen. In das Lachen hinein fragt der Russe unvermittelt, ob ich ein Navigationsgerät dabei habe, ob ich Karten habe? Gekonnt, der Trick – mich erst einlullen, dann zuschlagen. Wirkt nicht: Ich habe natürlich kein Navigationsgerät und keine Karten. Ich erkläre den beiden, all meine Information käme aus dem Internet, da sei sie öffentlich zugänglich. Ich erkläre beiden mein Hobby. Der Kalmücke weiß sofort, daß der höchste Punkt seines Landes bei Manytsch liegt, fragt aber zum Glück nicht, ob ich schon dort gewesen sei. Und wohin ich noch wolle? will der Russe wissen. Ich zähle ihm alle Städte an meiner geplanten Route auf, von Astrachan bis hoch nach Samara. Da frägt er: 'Fahren Sie auch nach Frunze?' Ich stutze, weiß nicht, was die Frage nach der Hauptstadt Kirgisiens bedeuten soll – heute heißt sie Bischkek. Er sieht, daß ich seine Frage nicht begreife. 'Dort hat man früher immer alle Spione aufgehängt.' Nein, natürlich will ich nicht nach Frunze. Aber ich begreife: Halb scherzhaft verdächtigt mich der Gute als Spion. Wieviel Tage ich in 'unserer Republik' zu bleiben gedenke? will der Kalmücke wissen.  Ich erzähle die ganze Geschichte noch ein zweites Mal. Morgen Astrachan.

Da ziehen sich beide hinter mein Auto zurück und telefonieren über ihr Handy, vermutlich mit der vorgesetzten Dienststelle. Es scheint keine Probleme zu geben. 'Auf Wiedersehen, viel Glück!' ruft mir der Jüngere noch zu. Dann springen sie in ihr Auto und brausen davon."


 

Aus der kalmückischen Republik hinaus, weiter ins Nichts ..., der tiefsten Stelle Europas entgegen!


Vom Aussterben bedroht – Der Gesang der Kalmyken: https://www.youtube.com/watch?v=gs1w41oW544



 

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