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Finnland – "Spaziergang" auf den Haltiantunturi
Zu mitternächtlicher Stunde auf dem Halti
Auszug:
"21 Uhr 45 ist es, als ich endlich vom Gipfel des Halti aufbreche, geblendet von der Sonne, die mir geradewegs frontal ins Gesicht scheint. Ich habe in Nordwest-Richtung zu gehen, ganz schön weit, bis zu dem 'Paß zwischen den Punkten 1176 und 1188', so habe ich es aus dem Internet.
Während dem Gehen und Herumhickeln zwischen den Felsen fummle ich an meinem GPS-Gerät, um die Nordwestrichtung einzustellen. Leider finde ich jetzt keinen Anschluß mehr an die fröhliche Jugendgruppe; jetzt hätte ich sie brauchen können. Da stolpere ich mitten in dem Felsengewühl und fliege der Länge nach hin, schlage hart auf meinem Oberkieferknochen auf. 'Sch ...' zische ich zwischen den Zähnen und rapple mich wieder auf. Kann ich noch kauen? Ja, ich kann, Gott sei Dank. Sind alle Zähne noch da? Ich lasse die Zunge spielen. Ja, sie sind noch alle drin. Oh, oh, doch alles gut gegangen. Der Oberkiefer schmerzt zwar etwas, aber ich bin noch unversehrt. Wie oft habe ich heute schon der Steine wegen 'Sch ...' gerufen?
Ich stecke also das GPS weg und folge lieber direkt der untergehenden Sonne – wenn sie nur untergehen würde – sie geht im Sommer des Nordens im Nordwesten unter, denke ich mir, also brauche ich ihr nur zu folgen. Daß sie mich ungnädig blendet, nehme ich gern in Kauf, aber so wüst hinschlagen auf die Felsen will ich nicht noch einmal.
Der 'Paß' entpuppt sich als eine Reihe insignifikanter Geländeformationen mit kleinen Hügeln rechts und links. Hier sehe ich zum ersten Mal den in der Nachtsonne dampfenden Guolášjavri und biege halbrechts nach Norden ab. Jetzt beginnt auch das steinige Gelände nennenswert zu fallen, bald geht es nur noch über grasige Hänge, an denen das Stengellose Leimkraut und das Alpen-Fettkraut blühen, flott bergab, direkt auf das Parkplätzchen am Ostende des Sees zu, wo ich meinen Subaru schon weiß hinter dem Nothäuschen leuchten sehe.
Zurück bin ich eine Viertelstunde vor Mitternacht. Noch ist es genügend hell, gerade genug, um alles zu sehen, was ich für ein schnelles Abendessen brauche, und danach in die Heia. Keine Wolke steht am nordisch-glasigen Nachthimmel; es verspricht kalt zu werden. Nur die klagenden Rufe der Moorhühner sind noch im diffusen Dämmerlicht verstreut zu hören.
Ich war zum Haltiantunturi gekommen, sah und siegte. Alles in eigener Verantwortung, ohne fremde Hilfe bewältigt; hoch geklettert, wo sonst niemand klettert; über Gipfel gewandert, die kaum jemandes Fuß berührt; geschwebt über ganzen Ländern, alle zu meinen Füßen; Landesgrenzen überschritten – grenzenlos; Sonnentag ohne Anfang und Ende; schwereloses, wegloses Hüpfen von Fels zu Fels; unendliche Weiten; der Sonne entgegengestolpert in die Nacht hinein; getaumelt und gefallen, ohne mich zu verletzen; heimgekehrt, gegessen, geschlafen; selbst normale Grundbedürfnisse zu befriedigen genossen; alles egal sein lassen; mich in Haltis Hand rundum gut gefühlt. Wer aber auf dem Hochplateau verloren geht, wehe dem!"
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