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Buch D      Die Iberische Halbinsel  

 



Auszug aus dem Kapitel "Spanien": 

„Spanien denke ich mir in meiner naiven Vorstellung als Garten des Mittelmeers, überbordend von Pflanzen, Blüten, Früchten, mit mildem Klima. Ich habe Spanien über Katalonien betreten; daher ist der Schock, daß ich etwas ganz anderes als erwartet vorfinde, nicht ganz so überfallartig groß als wenn ich über Kastilien gekommen wäre. Anders als erwartet tut sich mir eine melancholische, raue, harte Landschaft auf, endlose, leicht gewellte Ebenen bis zum Horizont, brauntrocken von der unbarmherzigen Sonne verbrannt. Jeder Morgen in Spaniens Hochsommer beginnt mit vollem Sonnenschein, jeder Abend ist ein glühendes Inferno: Es gibt keine Wolken, nicht einmal einen Schleier. Wasser ist knapp. Disteln vegetieren am Straßenrand. Dornengestrüpp. Blanker Kieselboden, festgebacken. Spanien ist eine Wüste.

Spanien ist ein abgeschlossenes Land. Durch die Dörfchen fahre ich auf schmaler Straße, beiderseits eingefaßt von Hauswänden, einstöckig. Strukturen aus Stein und Staub, Fenster verrammelt. Café, Bar, Tabaco, diese Schilder habe ich dauernd gesehen, aber einen Supermarkt? Irgendwie scheint es diese Einrichtung nicht zu geben. Wo kaufen die Spanier eigentlich ein? Da endlich, es ist 14 Uhr, finde ich einen. Er hat ab 13 Uhr geschlossen und öffnet erst wieder 16 Uhr 30. Vergiß es. Spanien macht Siesta.

Weil Vollmond ist, bin ich schon um fünf Uhr morgens aufgewacht. Seit sechs Uhr fahre ich. Ich habe Lust auf ein Frühstück, aber natürlich haben die Läden so früh am Morgen noch nicht auf. Ich fahre weiter bis nach neun Uhr. Da hätte man erwarten können, daß Läden öffnen. Im nächsten Dorf gibt es tatsächlich eine Panaderia. Geschlossen. Ich klingle. Ein Fenster im ersten Stock öffnet sich, und bald erscheint die Ladenbesitzerin in der Ladentür. Wenigstens ein frisches Brot hat sie, wenn auch sonst nichts. In dem Dorf gibt es noch einen Kreisverkehr mit einem pompösen Wasserspiel in der Mitte. Wenn es jetzt Mitternacht wäre, könnte ich darin illegal baden. Aber es ist neun Uhr früh: In Spanien stimmt nie die Zeit mit meinen Bedürfnissen überein.

Die Straße zieht gerade über die Hochebene, ohne Wäldchen rechts oder links. Ich fahre und werde müde, doch wo stehen bleiben, wo ausruhen? Hinter mir die drängelnde Lastwagenkolonne. Lastwagen donnern  in Gefolgen von zehn im Hochtempo die spanischen Straßen hinauf und herunter und durch abgewrackt vor sich hindösende Straßendörfer, vorbei an Fabricas de Ciment, Staubwolken, Windhosen. Entgegen kommt der hoch sich auftürmende Lastwagen der 'Transportes soundso aus Murcia'; der Schwall des Fahrtwinds, den er vor sich her schiebt, drückt meinen Subaru zur Seite. Kaum ein Parkplatz am Rand des unendlichen Straßenbandes, und wenn, dann in derselben heißen Sonne, wie der glitzernde Asphalt. Ich versuche zu schlafen, doch hoffnungslos in der Hitze, die sich nun im Auto staut. Der Asphalt schmilzt derweil. Der Lasterfahrer neben mir startet auch schon wieder, um Fahrtwind zu bekommen. Das ist es: Man lebt in Spanien vom Fahrtwind. Durchblasen mit Diesel. Wolken von Diesel in unabsehbaren Lastwagenkolonnen auf der kahlen, braunen, durchglühten Hochebene. Und darüber die Mittagssonne. Spanien ist Afrika.

Kilometer um Kilometer wird abgespult. Gelegentlich gibt es auch ein Dörfchen am Highway. Ortsnamen wie Benicássim und Benimuslem huschen vorbei. Die Fensterläden sind geschlossen, niemand ist unterwegs. Alle Einkaufsläden, die Post, alles geschlossen. Die Mauern zerbröckeln, der Putz fällt ab. Ruinen öden vor sich hin. Vertrocknetes Unkraut. Kein Restaurant. Anscheinend ißt man nicht in Spanien. Nicht öffentlich, jedenfalls. Spanien schließt sich ein. Hinter dicken Steinmauern in engen Gassen. Alzira heißt das Städtchen mit dem hübscheren Namen, eines der vielen 'al...'s, deren das Wörterbuch voll ist, arabischer Artikel mit dem Überbleibsel einer Bezeichnung. Dann kommt das häßliche Städtchen Carcér. Die Assoziation greift. Spanien ist Karzer, Kerker, arabisches Mittelalter.

Wieder auf dem Highway nach Süden. Am Horizont taucht die Silhouette eines schwarzen Stiers auf, bald die eines tuchschwingenden Torero. Alles Atrappen, überlebensgroß. Andalusien kündigt sich an, der tiefe Süden. Es ist Freitag abend. In einem kleinen Dorf ist die Durchgangsstraße blockiert; die gesamte männliche Bevölkerung auf der Fahrbahn diskutierend versammelt. Jetzt sind sie also aus ihren Löchern hervorgekommen, hinter den geschlossenen Fensterläden. Kneipen haben geöffnet, Posadas. Vor den Posadas sind Stühlchen aufgestellt, an der Hauswand entlang. Die älteren Männer sitzen. Die jüngeren gestikulieren in Gruppen. Zum Durchfahren ist kein Platz mehr, und man macht auch keinen Platz.

Was hier vor sich geht, ist wichtiger als ein einzelner Autofahrer, dazu noch ein fremder. Man winkt mich schließlich als Fremdkörper durch. Es ist Stierkampfzeit. Die Arena wird bald öffnen. Die Messer sind schon gewetzt, die Wetten gesetzt. Spanien ist Kampf. Spanien ist Blut“.

 

 

 


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